8. Leitbildforum St. Franziskus Stiftung Münster - 2005
Vortrag 1: Entstehung und Arbeit der Gruppe ( Eveline Schmidt)
Mein Name ist Eveline Schmidt, ich bin die stellvertretende Vorsitzende des Arbeitskreises Kinder im
Licht. Wir begleiten Eltern, die ihre Kinder durch eine Fehl- oder Totgeburt verloren haben. Wesentlich
aber ist uns der respektvolle Umgang mit diesen Kindern, egal in welcher Schwangerschaftswoche sie
verstorben sind oder noch kurz nach der Geburt gelebt haben. Ich möchte Ihnen hier die Entwicklung
und Arbeit unserer Gruppe vorstellen:
Auch nach vielen Berufsjahren auf der Gynäkologischen Abteilung beschleicht mich immer noch eine
unangenehme Beklommenheit, wenn es heißt: Es kommt jetzt eine Frau mit einem intrauterinen Frucht-
tod . Vor allem die sogenannten „Spätaborte“ sind von einer besonderen emotionalen Brisanz. Man steht
sprachlos am Bett der total verstörten und zutiefst unglücklichen Mutter.
Die Sprüche: „Sie sind ja noch jung und können ja noch viele Kinder bekommen“ oder „Sie haben ja
schon ein gesundes Kind“, trösten die Eltern nicht. Auch der unglückliche Umstand, dass die Kinder,
die vor einiger Zeit noch nicht einmal unter das Bestattungsgesetz fielen, wie anderer Kranken-
hausmüll entsorgt werden konnten, empfanden wir als unwürdig.
Denn Leben besteht von Anfang an!
Nach dem neuen Bestattungsgesetz NRW, § 14 Abs. 2 müssen Tot- und Fehlgeburten auf einem
Friedhof bestattet werden, wenn ein Elternteil dieses wünscht. Auf jeden Fall müssen die Eltern
auf diese Bestattungsmöglichkeit hingewiesen werden. Liegt diesbezüglich keine Erklärung der
Eltern vor, sind diese Kinder von den Einrichtungen (Krankenhäusern) unter würdigen Bedingungen
zu sammeln und zu bestatten. Die Kosten hierfür trägt die Einrichtung.
Im Sommer 2004 hatte unsere Gynäkologische Abteilung eine Fortbildung: „Die stille Geburt“
mit Kathleen Willamowski. Das gab den Anstoß, unsere bisherige Vorgehensweise zu überdenken und zu
ändern. Nach ihrem Vorbild gründeten wir einen Arbeitskreis, der aus Mitarbeitern der Gynäkologi-
schen Abteilung sowie den Geistlichen verschiedener Konfessionen, einem Bestatter und einem
Psychiater bestand. Besonders hervorheben möchte ich, dass uns hier neben einem katholischen und einem
evangelischen Pfarrer auch ein muslimischer Geistlicher unterstützt.
Innerhalb des Arbeitskreises wurden einzelne Arbeitsgruppen mit unterschiedlichen Aufgaben gebildet:
Der Bestatter nahm Kontakt mit dem Friedhofsamt auf, das uns problemlos ein Gräberfeld zur
Verfügung stellte. Zudem sponserte er uns eine wirklich schöne Stele, auf die wir besonders stolz sind.
Durch seine Beziehungen fand er einen Friedhofsgärtner, der unser Gräberfeld gärtnerisch gestaltete
und es fortan pflegt. Eine der Gruppen kümmerte sich um das Arbeitsmaterial für die Station und den
Kreißsaal: Für einen würdigen Umgang mit den Kindern benötigten wir ein Moseskörbchen,
Steckkissen, Kleinstbabywäsche, Kissenbezüge, Betthimmel und für die Bestattungen verschieden große
Holzkistchen, die von den Eltern selbst gestaltet werden können, wenn es gewünscht wird.
Zur Dokumentation wurde auf der Station ein Buch angelegt, worin sämtliche Fehl- und Totge-
burten eingetragen werden. Darin wird auch der Bestattungstermin festgehalten.
Eine andere Gruppe erarbeitete einen Laufzettel für den reibungslosen Ablauf auf der Station und
der Ambulanz. Damit wird sichergestellt:
dass der Behandlungsablauf mit den Eltern besprochen, der Rhesusfaktor abgeklärt, ob eventuell
Resogam, auf jeden Fall aber Dostinex (Abstilltabletten) gegeben wurde, die Erlaubnis der Eltern
zur Obduktion eingeholt, auf dem Pathologieschein Rücktransport vermerkt, Bilder oder Sonobilder
den Eltern mitgegeben und auf die Sammelbestattungen aufmerksam gemacht wurde,
indem man den verwaisten Eltern ein Infoblatt mitgab. Alle diese Punkte müssen jeweils abgezeichnet
werden. Somit ist gewährleistet, dass an alles gedacht wurde und unnötige Belästigung der Eltern
durch mehrfaches Nachfragen ausgeschlossen ist.
Als nächstes formierte sich aus unserem Arbeitskreis die Selbsthilfegruppe. Sie entwarf einen Flyer,
auf dem sie sich vorstellte und zu den Sammelbestattungen einlud, die nun alle zwei Monate stattfinden.
In dieser Selbsthilfegruppe treffen sich die verwaisten Eltern einmal monatlich, um ihr leidvolles
Erlebnis aufzuarbeiten und andere Menschen zu treffen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Intern musste abgeklärt werden, ob die Kinder in Formalin, was Arbeitssicherheitsfragen
aufwarf, oder in Kochsalzlösung zur Pathologie verschickt werden, wie und wann der Rücktransport
organisiert wird, wo die Kinder bis zur Bestattung aufbewahrt werden und wer die Kinder in die
Holzkistchen umsetzt. Ebenfalls wurde geregelt, wer aus unserem Arbeitskreis die Beerdigungen
begleitet, um vor Ort Ansprechpartner zu sein.
Wir konnten für uns eine Künstlerin gewinnen, die nach unseren Vorstellungen „Kinder im Licht“, ein
Bild malte, worauf ein Kind zu sehen ist, das ins Licht strebt. Dieses Bild ist auf der Karte zu
sehen, auf deren Innenseite die Daten der Kinder vermerkt und ein Foto oder Ultraschallbild eingeklebt
werden. Wenn möglich, das ist natürlich von der Größe des Babys abhängig, wird auch ein Fuß- oder
ein Handabdruck gemacht. Diese Karte bekommen die verwaisten Eltern als wahrscheinlich einziges
Erinnerungsstück mit.
Die Richtlinien, die wir im Arbeitskreis erarbeitet haben, mussten nun auf der Station, dem Kreiß-
saal und der Ambulanz umgesetzt werden. Das lief zu Beginn nicht immer ganz reibungslos. So mancher
Mitarbeiter belächelte uns. Durch viele Gespräche und konsequentes Durchsetzen unserer Maxime
gehören diese Richtlinien inzwischen zum Standard.
Nach Möglichkeit wird vor allem bei Spätaborten darauf geachtet, dass die Frau ein Einzelzimmer
bekommt wobei, vor allem vor dem Ausstoßen, der Ehemann, die Mutter oder andere Angehörige
rund um die Uhr anwesend sein können. Soweit der Stationsbetrieb es erlaubt und es erwünscht ist,
steht der Mutter jederzeit eine Hebamme, Schwester oder ein Geistlicher zur Seite. Dabei muss schon
sensibel darauf geachtet werden, dass man die Patientin zu nichts drängt, denn jede Mutter trauert anders.
Es gibt Frauen, die nach dem Abort erleichtert wirken. Ihnen ist offenbar eine Last genommen. Einige
ergeben sich ihrem Schicksal. Andere sind völlig verzweifelt, so manche ist aggressiv und schreit ihren
Kummer heraus und macht Gott und die Welt für ihr Unglück verantwortlich. Diese Skala an
Gefühlen macht deutlich, dass man wirklich sehr viel Fingerspitzengefühl aufbringen muss, um auch
jeder dieser Frauen gerecht zu werden.
Ab der 16 SSW findet die stille Geburt im Kreißsaal statt. Auch dort ist man um größtmögliche Sensi-
bilität bemüht. Die Schmerzbekämpfung spielt in dem Fall eine wichtige Rolle. Jede Geburt ist
schmerzhaft. Nur wird man im Idealfall mit einem gesunden Baby belohnt. So sind der Geburts-
schmerz und die normalen Unannehmlichkeiten, wie die Episiotomie und Nachwehen, schnell vergessen
oder werden gerne in Kauf genommen. Wie viel schlimmer muss der Geburtsschmerz erst für eine Mutter
sein, die weiß, ihr Baby lebt nicht mehr. Die ganze Mühsal ist umsonst!
Nach der Geburt wird das Baby so ästhetisch wie möglich hergerichtet, je nach Größe angezogen, in
ein Steckkissen gewickelt und ins Moseskörbchen gelegt. Vorausgesetzt die Mutter wünscht es, wird
ihr der Korb gebracht. Für die Trauerbewältigung ist es wichtig, dass die Eltern Abschied nehmen
und ihr Kind auch sehen, selbst wenn Missbildungen vorhanden sind. Die Wirklichkeit ist oft nicht
so schlimm wie die Vorstellung in ihrer Phantasie,
Die Mutter entscheidet jedoch selbst, ob sie den Deckel öffnet, um das Kind zu sehen. Sie wird
ermuntert, das Kind heraus zu nehmen, vielleicht im Arm zu halten, es auszuwickeln, was immer das
Gefühl ihr sagt. Die eine oder andere Frau hat den Wunsch, ihr Baby wenigstens einmal zu betten. Eine
friedliche und feierliche Atmosphäre schafft man mit Kerzen und Blumen, auch Aromalämpchen mit
speziellen Essenzen für den Abschied kann man aufstellen. Bei Bedarf stehen uns Bachblüten zur
Verfügung, die helfen, den Schmerz leichter zu ertragen. Zu schweren Psychopharmaka wird nur in
Ausnahmefällen gegriffen, z.B. bei einer schwierigen Trauerbewältigung oder wenn die Mutter suizid-
gefährdet ist. In solchen Situationen wird natürlich ein Psychiater herbeigerufen.
Wer bei dem Abschied anwesend ist, entscheiden die Eltern, das kann ein Geistlicher oder eine Person
ihres Vertrauens sein. Wenn sie lieber alleine mit ihrem Kind sein wollen, so ist auch das o.k.
Bevor die Mutter entlassen wird, bekommt sie mit den Papieren den Bestattungstermin und Ort mit-
geteilt. In der Pathologie werden die Kinder in die, von den Eltern gestalteten Holzkistchen
gebettet, an uns zurückgeschickt und in der Prosektur gesammelt. Vor der Beerdigung werden sie
zusammen in ein größeres, liebevoll bemaltes Kistchen gelegt, für die Bestattung hergerichtet und mit
einem Blumenbukett geschmückt.
Nach einer feierlichen Verabschiedung auf dem Friedhof werden die Kinder auf unserem Gräberfeld bestattet.
Zu Füßen der Stele liegen Kieselsteine, auf denen Namen/Kosenamen der Kinder aufgeschrieben werden
können.
Einmal jährlich findet ein ökumenischer Gottesdienst für alle früh- oder totgeborenen Kinder statt.
Dieser wird zusammen mit den Eltern, dem Arbeitskreis und den Geistlichen vorbereitet und gemein-
sam gefeiert. Anschließend trifft man sich noch zu Kaffee und Kuchen, um den Tag ausklingen zu lassen.
Ich hoffe, dass unsere Öffentlichkeitsarbeit bei vielen Mitarbeitern Anstoß für ein Umdenken schafft
und somit Verständnis u. Sensibilität für diese Trauerarbeit weckt.
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